Lässt sich über die Qualität der Embryonen eine Aussage auf die Schwangerschaftschancen machen?

Die Beurteilung der Embryonenqualität nach ihrem Aussehen ist immer wieder ein diskutiertes Thema. Nach meiner Erfahrung wird mit diesem Thema von Seiten der Ärzte und Biologen eher ausweichend umgegangen.
Leider existieren mehrere Systeme zur Beurteilung der Embryonen nebeneinander, weshalb es schwierig ist, sich anhand der Angaben aus ICSI-Protokollen oder Ähnlichem, einen Überblick über die eigene Situation zu machen. Es bleibt also meistens nur eine direkte Kommunikation mit z.B. den Biologen im Labor. Dies ist in den meistens Kliniken möglich, wenn man darauf besteht (meistens kann man im Labor anrufen). Natürlich ist das nicht gerne gesehen, da solche Telefonate Zeit kosten und den Ablauf im Labor „stören“. Trotzdem bin ich der Meinung, dass Patienten ein Recht darauf haben, schon frühzeitig über den Verlauf der Behandlung aufgeklärt zu werden und dazu gehören für mich auch Informationen über die Entwicklung der Embryonen.

Um hier einen einfach Überblick über das Thema zu geben, werde ich wie folgt vorgehen.

Im ersten Teil gehen ich auf die unterschiedlichen Kriterien ein, die bei der Beurteilung von Embryonen eine Rolle spielen.

Im zweiten Teil, werde ich dann die Frage aufgreifen, ob diese Kriterien eine Aussage über die Schwangerschaftschancen ermöglichen.

Kriterien für die Beurteilung der Qualität von Embryonen (Mehrzeller)

Bei der Beurteilung von Mehrzellern gibt es das bis heute gängige System des Embryo Score oder Embryograding. Dabei unterscheidet man die Anzahl der Blastomeren (Zellen des Embryos), die Häufigkeit von Fragmentationen und die Granulierung des Eizellplasmas. Aus diesen Faktoren ergibt sich dann ein Punktewert, bei dem eine hohe Punktzahl für eine gute Qualität des Embryos steht. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Wachstumsgeschwindigkeit des Embryos, die sich in der Anzahl der Zellen im Embryo niederschlägt (Anzahl der Blastomeren).

Folgende Tabelle zeigt die Kriterien und ihr Einordnung:

GradFaktorFragmenteBlastomerenZytoplasma
A4keinesymmetrisch angeordnet, gleichförmig, rundgleichmäßig, leicht granuliert (wie feiner Strandsand)
B3bis 10%leichte Größenunterschiede, Form etwas unregelmäßigUngleichmäßig granuliert, gröberer Sand
C220 bis 50%Ungleichmäßig groß, ungleichmäßig verteiltDunkle Granulat und Vakuolen (größere Einschlüsse/Veränderungen im Zellplasma)
D1> 50%nur eine Blastomere sichtbar, ungleichförmige Blastomeren, Blastomeren ungleich verteilt. Dunkle Granulat und Vakuolen (größere Einschlüsse/Veränderungen im Zellplasma)

Embryonenqualitäten von A bis D

Hier zu sehen an einem Tag-2-Embryo

Das Bild zeigt einen Vierzeller an Tag 2 in verschiedenen Qualitäten

Embryonenqualität von A bis D

Kriterien für die Beurteilung der Qualität

Anzahl der Blastomeren – Zellen der Eizelle

Die Blastomeren sollen möglichst gleich groß und symmetrisch im Inneren des Embryos verteilt sein. Ein sehr gleichmäßiges Aussehen eines Embryos steht hier also für eine gute Qualität. Zusätzlich kann hier auch die Anzahl der Blastomeren als Qualitätskriterium genommen werden, da eine schnelle Entwicklungsgeschwindigkeit bei einem Embryo mit einer besseren Schwangerschaftschance verbunden wird. (Besonders deutlich wird dies beim Erreichen des Blastozystenstadiums an Tag 5 nach der Befruchtung).

Fragmentationen der Embryonen

Fragmentationen im Inneren des Embryos sind Teile des Embryos, die sich nicht weiter entwickelt haben oder unregelmäßige Abschnürungen die während einer nicht idealen Zellteilung entstanden sind. Ein guter Embryo sollte möglichst wenig Fragmentationen (also Unregelmäßigkeiten im Inneren des Embryos) aufweisen.

Granulierung des Eizellplasmas (Ooplasms/Zytoplasms – das Innere des Embryos)

Ein leicht körniges Aussehen des Zellinneren des Embryos ist normal. Hat der Embryo aber ein grobes Aussehen, kann dies auf ungünstige Prozesse im Zellplasma hinweisen. Man kann sich das vielleicht am besten in Form von Sand vorstellen. Das Zellplasma sollte granuliert wie feiner Sand sein, sieht es aber eher wie ein grober Kieselsand aus, wird dies mit einer schlechteren Qualität des Embryos verbunden.

Inwiefern beeinflusst die Embryonenqualität die Schwangerschaftschancen?

Viele verschiedene Studien versuchen sich dieser Frage zu nähern.
Die hier beschriebenen Studien findet ihr in Gänze auch im Bereich Quellen, falls ihr Lust habt einmal selbst reinzuschauen.

Studie 1

In 2015 wurde dazu eine Studie veröffentlicht, die sich mit den Schwangerschaftschancen eines 4 Zellers oder 2 Zellers an Tag 2 beschäftigte.

Die grundsätzliche Frage ist also, ob eine zeitgerechte Entwicklung des Embryos wirklich einen Einfluss auf die Schwangerschaftschancen hat.
Denn an Tag 2 nach der Punktion sollte ein Embryo möglichst schon das 4-Zell-Stadium erreicht haben.

In der Studie wurden die HCG Werte 12 Tage nach Embryotransfer verglichen und es wurde geschaut, inwiefern sich die HCG-Konzentration zwischen 2-Zellern und 4-Zellern (beide Tag 2 Embryonen) unterschied.
Wie auch zu erwarten ist, waren die HCG-Werte bei den zeitgerecht entwickelten Embryonen höher, als bei den Embryonen, die an Tag 2 „nur“ 2-Zeller waren.

Besonders interessante an dieser Studie ist der Umstand, dass nur erfolgreiche Schwangerschaften betrachtet wurden. Hier wird also deutlich, dass durchaus noch nicht alles verloren ist, wenn ein Embryo nicht perfekt zeitgerecht entwickelt ist (was man ja manchmal denkt).
Allerdings zeigen die Zahlen der Studie leider auch, dass die Anzahl der „Bummler“ (also etwas langsamere Embryonen) die dann doch noch zu einer erfolgreichen Schwangerschaft führen, doch relativ gering ist.

Von den 1047 Schwangerschaften waren nur 27 dabei, die an Tag 2 einen 2-Zeller zurück bekommen haben und damit schwanger wurden und blieben. Dagegen waren 990 Frauen mit einem 4-Zeller schwanger geworden. Die übrigen 30 Schwangerschaften kamen durch 3-Zeller (8) und 5-Zeller (22) zu stände.

Es wird also deutlich, dass die Chancen mit einem kleinen „Bummler“ zwar nicht ideal sind…aber es ist auch nicht unmöglich und man sollte immer erst aufgeben, wenn wirklich sicher ist, dass sich keine intakte Schwangerschaft ergeben hat.

Studie 2

Eine Studie aus dem Jahr 2006 hat das obige Modell etwas weiter und die Lupe genommen. Es wurde die Frage gestellt, welcher Indikator eine Schwangerschaft besser vorhersagen kann: die Entwicklungsgeschwindigkeit des Embryos oder die Morphologie des Embryos (sein Aussehen).

Bisher ging man davon aus, dass die zeitgerechte Entwicklung des Embryos einer der wichtigsten Aspekte bei der Einschätzung der Schwangerschaftschancen sei.
In der Studie des Center for Reproductive Health in Cincinnati, Ohio, USA,
wurden zwei unterschiedliche Vorhersagemodelle ausprobiert.

Im ersten Vorhersagemodell beurteilte man nur die Anzahl der Zellen der Embryonen und bezog so also nur die Entwicklungsgeschwindigkeit in die Vorhersage ein.

Im zweiten Modell wurde nicht die Entwicklungsgeschwindigkeit beachtet, sondern nur die morphologischen Kriterien zur Einschätzung der Embryonenqualität (also z.B. Gleichmäßigkeit der Blastomeren und Vorhandensein von Fragmentationen)

Das Ergebnis der Studie zeigte, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen einem 6-Zeller oder einem 8-Zeller, an Tag 3 nach Punktion, in Bezug auf die Implantationsrate oder die Schwangerschaftsrate gab.

Bei der morphologischen Beurteilung wurden die Probanden jeweils nach der Morphologie der Embryonen an Tag 3 aufgeteilt (Grad 1-4 wobei 1 eine gute Embryonenqualität bedeutete). Bei diesem Vorhersagemodell wurden deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt.
Bei einem Embryo der höchsten Qualitätsstufe lag die Implantationsrate bei 61,5%. In der zweiten Gruppe wurden immerhin 39% der Frauen schwanger.
Bei der 3. und 4. Gruppe waren es jeweils nur 20% der Frauen.
Zusammenfassend führen die Autoren der Studie aus, dass es nach ihren Erkenntnissen eher möglich ist mit einem sehr guten 6-Zeller an Tag 3 schwanger zu werden, als mit einem 10-Zeller mit unterschiedlich großen Blastomeren und vielen Fragmentationen.

Ich finde diese Studie sehr spannend, da sie auch mein bisheriges Gefühl auf den Kopf stellt, wenn es um die Einschätzung von Schwangerschaftschancen anhand der Embryonenqualität geht. Ich habe bisher immer gedacht, dass die Chancen mit einem Embryo, der nicht perfekt zeitgerecht entwickelt ist, deutlich schlechter sind. Dies ist also möglicherweise nicht der Fall…

Sicherlich kann man auch darüber diskutieren, ob man denn überhaupt wissen möchte, ob die Qualität nun gut oder nicht so gut war. Denn natürlich möchte man grundsätzlich möglichst positiv nach einem Embryotransfer denken.
Mir wäre es nach einigen Transfers trotzdem lieber gewesen, schon eine etwas genauere Einschätzung der Qualität zu bekommen.
In unserer Klinik gab es aber (wenn überhaupt) nur eine Aussage über die Anzahl der Zellen.
Nach dieser Studie wäre es wohl auch sinnvoll den Arzt oder den Biologen nach dem Grad der Fragmentation zu fragen, wenn man eine Einschätzung der Qualität haben möchte.

Qualität von Blastozysten

Die Qualität von Blastozysten kann man ebenfalls anhand verschiedener Kriterien bestimmen. Hier ist besonders die Entwicklungsgeschwindigkeit (Grad 1-6) und die Struktur der Blastozyste entscheidend.
Das Innere der Blastozyste teilt sich in den Trophoblasten (Zellen, die die Eizellhülle auskleiden und später zur Plazenta werden) und den Embryoblasten (Teil der Blastozyste, der später zum Embryo wird). Beide Teile sollten möglichst klar zu unterscheiden sein und ein bestimmtes Aussehen haben.
Für die Beurteilung der Qualität werden dann alle Parameter zusammengezogen.
Eine ideale Blastozyste hätte dann die Bewertung 4AA.
Auf den Bildern kannst Du sehen, wie sich die Bewertung zusammensetzt:

Entwicklungsgeschwindigkeit einer Blastozyste – Grad 1-4

Beurteilung von Embryoblast und Trophoblast

Natürlich bieten besonders gut entwickelte Embryonen die besten Schwangerschaftschancen. Doch auch hier sind die Grenzen fließend und es gibt immer wieder Entwicklungen, die man so nicht vorhergesehen hätte. Es passiert z.B. durchaus regelmäßig, dass aus Mehrzellern mit einer eher durchschnittlichen Qualität, Blastozysten mit einer besonders guten Qualität entstehen. Es muss einem also klar sein, dass diese Bewertungsschemata nur ein Versuch sind, sich einen Reim auf die natürlichen Prozesse zu machen. Was wirklich vor sich geht, ist aber so komplex und teilweise noch nicht erforscht, dass es eben nur ein Versuch ist. Daher sollte man die Hoffnung auch immer erst dann aufgeben, wenn wirklich klar ist, dass eine Behandlung nicht erfolgreich gewesen ist. 

Besonders eine etwas geringere Entwicklungsgeschwindigkeit, muss nicht unbedingt bedeuten, dass es keine Chance auf Erfolg gibt. Wie aus der Studie 2 (im Abschnitt oben) hervorgeht, scheint aber eine besonders schlechte Qualität von Embryoblast und Trophoblast durchaus eine große Rolle zu spielen.

Quellen

Studie 1

Maternal hCG concentrations in early IVF pregnancies: associations with number of cells in the Day 2 embryo and oocytes retrieved
https://academic.oup.com/humrep/article/30/12/2758/2380718

Studie 2

Embryo morphology score on day 3 is predictive of implantation and live birth rates
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3454961/

Untersuchung morphologischer Kriterien der Gameten und Vorkernstadien zur Erzielung einer Schwangerschaft
https://d-nb.info/1022942395/34

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